Dorothea Nürnberg

Jekupe

Der Österreichische PEN Club und der Löcker Verlag

laden zur Präsentation der Anthologie

Im Flug der Harpyie
Indigene Poesie und Prosa aus dem brasilianischen Regenwald

(edition pen)
Dorothea Nürnberg und Olívio Jekupé (Hg.)

Donnerstag, 8. Oktober 2015, um 19h,
Weltmuseum Wien, Wien I., Heldenplatz


Willkommensgruß
Claudia Augustat
(Kuratorin, Weltmuseum Wien)

Begrüßung
Miriam Leitão
(Botschaftssekretärin, Leiterin der Kulturabteilung der Brasilianischen Botschaft in Wien)

Einleitende Worte
Helmuth A. Niederle
(Präsident PEN Club Austria)

Moderation und Lesung
Dorothea Nürnberg und Gustavo Gomes Araujo
(Universität Wien, Institut für Romanistik)

Historische Tondokumente indigener Musik aus Amazonien

Vin d’honneur

Büchertisch


Im Flug der Harpyie
- Indigene Poesie und Prosa aus dem brasilianischen Regenwald
Mit einem Vorwort von Paulo Scott
Herausgeber: Dorothea Nürnberg und Olívio Jekupé
Übersetzung: Erika Maria Heiss Lopes, Rio de Janeiro; Dorothea Nürnberg, Wien
Das Buch erscheint zweisprachig auf Deutsch und Portugiesisch.
Löcker Verlag Wien, Oktober 2015

Synopsis
Poesie und Prosa indigener AutorInnen, versammelt in einer aussergewöhnlichen Anthologie, die zwei Kontinente, zwei Welten miteinander verbindet, eine Brücke schlägt in die faszinierende Welt der indigenen Ureinwohner Brasiliens, zu ihren Mythen, ihrer poetischen Sprachgewalt, ihrem Jahrtausende alten Wissen um die Natur, die Geheimnisse des Bewusstseins. Menschen, die seit Jahrhunderten verfolgt, ausgebeutet - vielfach auch ausgelöscht wurden und die bis heute um die Wahrung ihrer Rechte kämpfen.

Eine Sammlung poetischer, tiefsinniger, auch kämpferischer Texte, die uns, die wir den Zivilisationen einer „weissen“ Kultur entstammen, Einblicke in eine andere Welt vermitteln, in naturnahes, authentisches Leben – ein Nachmittag am Ufer eines teefarben schimmernden Seitenarms in den unermesslichen Weiten des amazonischen Flusssystems, Nächte erfüllt von Gesängen, dem Rauch halluzinogener Pflanzen, Schamanen im Einklang mit allen Bewusstseinsträgern des Waldes – Menschen, Ahnen, Pflanzengeister, Tierseelen.
In diesem heiligen Grün verliert sich die Zeit – Tiago Hakiy beschreibt dieses idyllisch freie Leben im Wald, auch Jaider Esbell, Jaime Diakara und Rosangela dos Santos Soares.

Im Einklang sein mit der Natur - in Amazonien, im Sertão, in den Regionen der Mata Atlántica, des Küstenregenwaldes, der sich durch Brasilien zieht, dort wo der weisse Mensch noch nicht eingegriffen, noch nicht Zerstörung und Vernichtung gesät hat. Das genaue Gegenteil einer grünen Hölle, Etikett, das die Zerstörung dieses letzten Paradieses auf Erden rechtfertigen soll. „Dämonen des Waldes“ nannte man die indigenen Einwohner Brasiliens – bis heute, Rosi Waikhana verkehrt gekonnt die Bedeutungen, es sind die Herren des „Paradieses“, die Weissen, die den Planeten zerstören – und somit die eigentlichen Dämonen.

Aurilene Tabajara, Iracema Forte Caingang, Chirley Pankará, Jeguaka Mirim, Delasnieve Daspet klagen im Namen der Menschen, Tiere und Pflanzen von dieser brutalen Zerstörung.
Doch auch von der unermesslichen Regenerationskraft der Natur ist die Rede, Fátima Kerexu, Ailton Krenak, Cristino Wapichana und Eliane Potiguara weben alte Mythen, Legenden, moderne Poesie und Liebeslyrik in den bunten und vielschichtigen Teppich indigener Ausdrucksweise, Olívio Jekupé schreibt von den Glücksgefühlen, die der Anblick des Flusses, der durch sein Dorf fließt, in ihm auslöst, von der Dankbarkeit und Freude über den Regen. Jaider Esbell lässt traditionelles indigenes Denken in seine Gedichte einfließen: „Ich töte niemals ohne Hunger“.

Mögen die Stimmen jener indigenen Autoren und Autorinnen nicht verhallen, möge ihr Mahn- und Klageruf, aber auch ihre Lebensfreude uns aufwecken, aufrütteln, zurückführen zu einer vertieften Wahrnehmung der Schönheiten dieses Planeten, der Vielfalt seiner Bewohner.


Biographien
DOROTHEA NUERNBERG, (Mag.phil.), geb.1964 in Graz, studierte deutsche und französische Philologie in Graz und an der Sorbonne/Paris, war mehrere Jahre im Kunstmanagement tätig. Sie ist Vorstandsmitglied des Österreichischen PEN Club.
Zu ihren Werken zählen Lyrikzyklen, Romane, Erzählungen, lyrisches Musiktheater, ein Drehbuch für WEGA Film 2011 sowie mehrere Kunstfotografiebücher. Zuletzt erschienen der Roman „Sterntänzer“, Ibera 2012 und „Gatito“, Ibera 2014.
Zahlreiche Reisen führten sie in die Tiefen des amazonischen Regenwaldes, zu indigenen Protestbewegungen im Einsatz für den Schutz Amazoniens, der Rechte der indigenen Völker Brasiliens.
Einige ihrer Werke sind auch ins Portugiesische übersetzt: Cantares da Terra, Editora Valer, Manaus/São Paulo 2006, Filha do Sol, Oficina Editores, Rio de Janeiro 2012.
In Indien und Chicago erschienen sind die Erzählungen Spiegelbilder/Reflections, Bibliophile South Asia, 2007 und der Roman Gestern vielleicht/Maybe Yesterday Bibliophile South Asia 2009.


DOROTHEA NUERNBERG (Mag.phil.), nasceu em Graz, Áustria, em 1964.
Estudou filologia alemã e francesa em Graz e na Sorbonne/Paris. Atuou vários anos na área de marqueting e artes. É membro da direção do PEN Clube da Austria.
Entre suas obras constam ciclos de lírica, romances, contos, teatro lírico musical, um argumento (uma matéria) para WEGA Film 2011, assim como vários livros de fotografia artística. Recentemente foi editado o romance “Sterntaenzer”, Ibera 2012 e “Gatito”, Ibera 2014.
Inúmeras viagens a levaram às profundezas da floresta amazônica, aos movimentos de protesto dos indígenas a favor da preservação da Amazônia e da proteção dos direitos dos povos indígenas do Brasil.
Algumas de suas obras foram traduzidas para o português “Cantares da Terra”, Editora Valer, Manaus/São Paulo, 2006, “Filha do Sol”, Oficina Editores, Rio de Janeiro, 2012.

OLÍVIO JEKUPÉ
Brasilianischer Schriftsteller, geb. 1965, verfasst Lyrik sowie Kinder- und Jugendliteratur. Studium der Philosophie in Paraná und São Paulo, lebt heute im Dorf Krukutu (Parelheiros – São Paulo). Mitglied des „Núcleo de Escritores e Artistas Indígenas“ (NEARIN) und Mitbegründer der „Associação Guarani Nae´en Porã“. In seinen Büchern bezieht er sich auf die mündliche Tradition seines Volkes.
Zwei seiner Bücher „Ajuda de Saci“ und „A mulher que virou Urutau“ sind zweisprachig (Portugiesisch und Guaraní) erschienen.

OLÍVIO JEKUPÉ
Estudou filosofia na Pontifícia Universidade Católica do Paraná, mudou-se mais tarde para São Paulo, onde retomou os estudos na USP.
Mora na aldeia Krukutu, em Parelheiros. É membro do Núcleo dos Escritores e Artistas Indígenas (Nearin) e foi um dos fundadores da Associação Guarani Nae'en Porã. Em seus livros, aproveita a tradição oral, transcrevendo histórias de seu povo.
Dois de seus livros, Ajuda do Saci e A mulher que virou Urutau, foram publicados em edições bilíngues, com texto em português e guarani.

Literaturkritik.de Rezensionsforum
„in den Gewässern Träume-reich“
In der Anthologie "Im Flug der Harpyie" zeigen indigene AutorInnen aus Brasilien,
dass ihre Literatur erst besonders kraftvoll wird, wenn sie nicht unsere Stereotypen bedient
Von Jana Fuchs
Dorothea Nürnberg und Olívio Jekupé lassen mit ihrer Anthologie indigener Poesie und Prosa aus dem brasilianischen Regenwald nun Stimmen zu Wort kommen, die normalerweise kein Gehör in der Weltliteratur finden, obwohl sie von einem unerschöpflichen kulturellen Reichtum und von einer Wirklichkeit erzählen, die für uns die Authentizität einer fernen Utopie in sich trägt. Auch wenn zahlreiche brasilianische Indigene nun gezwungen sind, „[a]uf der Straße, unter Brücken, in Städten, / in Plastik-gedeckten Barracken / an den Ufern der Flüsse, an Straßenrändern“ zu leben, wie es die Autorin Delasnieve Miranda Daspet de Souza in ihrem Gedicht Dieses Land gehört bereits jemandem! festhält, fließt in den Adern der brasilianischen Ureinwohner noch das Blut ihrer Ahnen und die Traditionen leben in ihren Seelen fort. Wie lange es ihnen jedoch noch gelingen wird, ihre Mythen und Gebräuche in ihrem Inneren vor dem Vergessen zu bewahren, ist ungewiss; umso entscheidender, dass die literarischen Stimmen der heutigen indigenen Generation Brasiliens angehört und gelesen werden: „Ach, Mutter Natur, / wie lange werden unsere Verwandten / noch leben? / Werden sie vollkommen ausgelöscht? / Oder werden die juruá kuery[1] / doch noch vernünftig / und alle in Frieden leben lassen?“.
In dem beigefügten kulturanthropologischen Kommentar schreibt Helmuth A. Niederle, dass die Indigenen nach der Kolonisation zur Projektionsfläche unterschiedlicher religiöser beziehungsweise ideologischer Vorstellungen wurden. So galten sie als grobschlächtige Wilde, in denen das Fortwirken des paradiesischen Sündenfalls anschaulich gemacht wurde, aber auch als glückliche Individuen, die im Schutz der tosenden Flüsse und glücklich in ihrer Bedürfnislosigkeit ihr Leben gestalten konnten. In Im Flug der Harpyie wird die Projektionsfläche nun gekippt, die Projektionen als solche entlarvt und das, was hinter dieser Fläche verborgen blieb, tritt in Erscheinung: Die jungen Menschen, die den verschiedensten indigenen Stämmen angehören, lassen sich nicht in sehnsüchtige Wunschvorstellungen nach einem vergangenem Harmoniezustand eingliedern oder an einem Ort fixieren, der durch Unmündig- und Rückständigkeit bestimmt ist, sondern weisen eine Diversität auf, die sich jeder Festschreibung entzieht. Während einige noch ihr traditionelles Leben weiterführen können, leben andere schon im urbanen Raum, an dem fast nichts mehr an ihre ursprüngliche Daseinsform erinnert. Dies ist nach dem brasilianischen Schriftsteller Paulo Scott, der das Vorwort zu dieser Anthologie verfasste, dann auch das Besondere der in Im Flug der Harpyie zusammengestellten Anthologie. Die vorgestellten Autoren unterwürfen sich eben nicht den Anforderungen des Literaturmarktes, bestimmte Klischees oder erzählerische Ästhetiken zu erfüllen, sondern es handele sich um Literatur, fernab der Etiketten ,brasilianische Literatur’ oder ,indigene Literatur’. Diese Literatur entspräche dem, so Scott, was man von Weltliteratur erwarte: „Literatur die einfach ist und zugleich machtvoll, fähig, Widerstand zu leisten, Literatur, der es gelingt, sich durch Raum und Zeit auszubreiten, dauerhaft zu bestehen.“
Und es stimmt: Es handelt sich bei der vorgenommenen Auswahl keineswegs um literarische Erzeugnisse, die bestimmte Klischees erfüllen wollen, sondern um authentische Literatur, die dreierlei Handlungen vollzieht: Erstens erzählt sie von der indigenen Lebensweise, die sich entweder noch auf dem „teefarbenen Wasser“ der Flüsse abspielt, oder schon in die moderne Daseinsform ,gepresst’ wurde. Zweitens stellt sie eine Auseinandersetzung mit der indigenen Lebenswirklichkeit dar, die vielleicht sogar in einer kritischen Reflexion der Einstellung des Rezipienten mündet, und drittens werden Texte produziert, die es aufgrund ihrer ästhetischen Qualität verdienen, dass man sie als Literatur bezeichnet.
Claude Lévi-Strauss schrieb in Tristes Tropiques (deutsch: Traurige Tropen), dass man sich, wolle man den Menschen verstehen, nicht damit begnügen dürfe, eine einzige Gesellschaft zu erfassen oder ein paar Jahrhunderte der westlichen Welt. Mit dieser Anthologie wird uns nun die Möglichkeit gegeben, an die Stelle von verklärten Vorstellungen Eindrücke der aktuellen Situation der brasilianischen Indigenen zu setzen. Es werden nicht mehr Eindrücke geschildert, die Europäer von indigenen Lebenswirklichkeiten gewonnen haben, sondern die Ureinwohner kommen selbst zu Wort. In Brasilien wird der indigenen Literatur immer noch kaum Beachtung geschenkt; dies wird sich – so erhofft es sich jedenfalls Herausgeber Olívio Jekupé – mit dem Erscheinen dieser Anthologie ändern. Denn es ist eine kraftvolle Poesie, die sich in dieser vielfältigen Auswahl entfaltet.
[1] juruá kuery – „Weiße“.
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz