Buchpräsentation: 4.10.2005, Literaturhaus Wien
Einleitende Worte:
STEFAN GMÜNDER/Literaturkritiker/Der Standard
„ Es gibt einen leider viel zu unbekannten Schriftsteller, der sein Leben lang in einer Lampenfabrik arbeitete und dann zu schreiben begann. In einem seiner Bücher kommt ein Kohlekumpel vor, der zu malen begann. Doch dieser Kumpel malt nicht Kohlehalden, Arbeiter, Rollwagen oder gar die Zeche, sondern Dahlien zum Beispiel, Blumen überhaupt, kleine Gärten, Wolken, Weiden und Luft.
Und während andere Bilanzen erstellen, Verträge abschließen, Brücken vermessen oder die Herzen von Mädchen, sitzt dieser Kumpel auf den Bäumen und redet mit den Vögeln und dem Wind.
Doch das ist ein anderes Thema denn heute geht es um ein anderes Buch und um Dorothea Nürnberg. Und trotzdem hat viel von dem, was ich vorhin sagte mit diesem Abend zu tun. Denn auch Nürnbergs GedankenVersammlung „Kurzweiliges und Eiliges“ weiss um den Lärm der Welt, das Getöse der Großstadt und die Geschwindigkeit des modernen Lebens – und doch geht es in diesem Buch nicht um diese Themen, die zwar als Folie und Kontrast im Hintergrund mitschwingen, sondern es geht um die belebte und unbelebte Natur, um das Schmecken und Riechen, um das Hören und das Reden ohne Worte. Und es geht um das Verstehen, das nur in der zwischenmenschlichen Kommunikation so schwer ist. Nürnberg begibt sich ins philosophische Gespräch mit der Malve, dem Pfirsichbaum, und ob es um einen Ausbruch geht, einen Umbruch, ob ohne Worte ohne Titel trifft oder ob es um den Kampf mit Maus und Computer geht, stets folgt in diesem Buch einem Satz der relativierende Nebensatz, der das, was gerade gesagt wurde, in ein anderes Licht stellt und Möglichkeits- und Lebensräume eröffnet.
Es geht um Sprache und Bilder, um wunderbare Bilder aus Semriach und der Steirischen Waldheimat, die den Band ergänzen. Bilder voller Licht und Atem. Und doch ist es nicht eine heile Welt, die Dorothea Nürnberg in ihren Gedankenskizzen beschreibt, vielmehr eine filigrane bedrohte Welt, der das Natürliche und Selbstverständliche abhanden kommt. Es geht in diesem Buch um Bewegung und Stille, schließlich um Licht und Liebe, die immer auch Eigenliebe ist.
Es gibt ein Wort dafür, es geht um Poesie.
In ihr ist das Wie wichtiger als das Was und es zählt nicht richtig oder falsch, es zählt nur was Worte poetisch vermögen. Dass letztlich ohnehin alle Definitionen vergeblich sind und Sprache vor jedem Spatzengeschrei, vor der Natur kapitulieren muss, von diesem Wissen ist dieses Buch durchdrungen. Poesie bleibt, wie alles Spirituelle, nur Haschen nach Wind, ein Hauch.
Dorothea Nürnberg hat Lyrikzyklen, große Romane und Erzählungen geschrieben, Fotografiebücher, Kunstkataloge und Ausstellungen gemacht. Das zeugt von Wandel, der immer auch eine Verzauberung ist und zeugt von Nürnbergs Bewusstsein davon, was von Anfang an Vorrecht und Vermögen der Schriftstellerei war, nämlich Schwäche in Stärke zu verwandeln, Armut in Reichtum, einen Abwind in eine Aufwärtsbewegung und einen Hauch in einen Sturm.“