Dorothea Nürnberg
Beitrag zur Anthologie Wortkörper/edition pen 2016
VOM WORT ZUM WORTKÖRPER – UND RETOUR
„Am Anfang war Brahman*, bei dem war das Wort und das Wort war wahrhaftig das höchste Brahman.“
Rig-Veda, (rund 1000 v. Chr.)
„Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war
das Wort ... In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen.“
Joh. 1,1-4
WortVerkörperungen
Wenn das Wort
sich verkörpert
eingekörpert
in Gefangenschaft gerät
partiell
vorübergehend
verbiegt sich das Wort
im Netz der Sinne
verliert verirrt sich
im mentalen Labyrinth
vergisst die Seele
wer sie ist
in Wahrheit ist
Wahrhaftig ist sie
unbegrenzt
und frei
eins mit dem Wort
Brahman Urgrund Sein
Bewusstsein
Seligkeit
Wortkörper
Körperwort
im Kampf
dauernd
mit/gegen andere Wortkörper
mit/gegen sich selbst
sich selbst abhanden gekommen
in den Schächten der Dualität zerronnen
Gefallen gepurzelt ausgeglitten abgerutscht
Verdichtung Zernichtung
Enge Grenze Begrenzung
Feindschaft Liebe Hass
Schattenspiel
Wortkörper im Kampf
betört verwirrt verkehrt
Brudermord Schwestermord Selbst-Mord
Verwirrt
stets und immerzu
verwirrt verirrt
ent-rückt
aus der Mitte gefallen
ganz nah am Abgrund
Abgesang
Weltenbrand
Das WORT
ERSCHÜTTERT
erregt sich erhebt sich
schüttelt sein Gefieder
Späne aus Licht
entwindet sich der Fessel
ringt nach Luft
erhascht eine Saite
greift nach dem Klang
lyrische Freude
tanzende Verse
Sternenregen
Götterklang
Entkörperung
zurück im WORT
sacht
ganz sacht
Flügel aus Licht
entdichtet
im Gedicht
*Brahman: die unmanifestierte höchste Gottheit der Schöpfung.