Dorothea Nürnberg

Literarisches Österreich, 2017/1: JAHRESTAGE 2017
Charles Baudelaire (1821 - 1867)
„Der gemeine Verstand sagt uns, dass die Dinge der Erde nur wenig Dasein haben, und dass es Wirklichkeit nur in den Träumen gibt“, schreibt Charles Baudelaire in seiner Essaysammlung „Die künstlichen Paradiese“. Ein Werk, das ebenso wie „Les Fleurs du Mal - Die Blumen des Bösen“ Einblick in die Seele des Dichters gewährt.

Eine schwierige Kindheit, Hadern mit der Existenz, Flucht in andere Wirklichkeiten prägen das Leben Baudelaires. Nach dem frühen Tod des Vaters und der raschen Wiederverheiratung der Mutter mit General Aupick, wird Charles in ein Internat abgeschoben, von dem er jedoch verwiesen wird. Nach dem Abschluss der Schule beginnt er ein Studium der Rechtswissenschaften, schließt sich jedoch sehr bald der Pariser Bohème an, beginnt zu schreiben. Er sieht sich als Dichter und Revolutionär, hegt eine tiefe Abneigung gegenüber allen bürgerlichen Werten, auch gegenüber dem Militär. Das belastete Verhältnis zu seinem Stiefvater verschlechtert sich. Der General schickt den Stiefsohn auf Reisen nach Indien. Baudelaire jedoch geht in Mauritius von Bord, verbringt einige Monate auf den Inseln im Indischen Ozean. Die Begegnung mit tropischer Natur beeinflusst sein späteres Schaffen, auch bleibt die Sehnsucht nach jenem verlorenen Paradies, nach einem gemeinsamen Leben mit der Geliebten – der Schauspielerin und Muse Jeanne Duval – in den Weiten der Inselwelt, wo „alles Ordnung und Schönheit“ strahlt. Der Traum von einem Leben in Frieden und Fülle, fernab der Hässlichkeit, dem Grauen der Großstadt.

Das von seinem leiblichen Vater geerbte, beträchtliche Vermögen geht rasch zur Neige aufgrund seines exzessiven Lebenswandels. Umgang mit Prostituierten, übermäßiger Alkohol- und Drogenkonsum zerrütten seine Gesundheit, er erkrankt an Syphilis. Zwei Selbstmordversuche missglücken.

Das Leben in der Großstadt, die Gesellschaft in der er lebt, empfindet der Dichter als „Teufelskreis“, als „Katastrophe in Permanenz“. Die moderne Zivilisation bringt einen Verlust an Selbst und Seele mit sich. Die Gesellschaft, die ihn umgibt, erkennt das Böse, Pervertierte nicht mehr. Das „Böse“, auch die Gleichgültigkeit, wird zur Normalität.

Mit den „Blumen des Bösen“ will Baudelaire seinen Mitbürgern die Augen für diese Missstände öffnen. Melancholie, Pessimismus, das Dunkle, Hässliche bestimmen den Tenor der Gedichte. Der Alltag in all seinen Schrecken, all seiner Ödnis erhält eine heroische Dimension.

Ein lyrisches Werk, mit dem Baudelaire die Lyrik der Romantik, auch den Formalismus der Dichter des Parnass hinter sich lässt, die Moderne der europäischen Lyrik einleitet.

Dass er unverstanden bleibt, bereitet ihm dennoch das „aristokratische Vergnügen zu missfallen“. Baudelaire will provozieren, schockieren, ringt gleichzeitig um die Verwirklichung des Guten - „L'Idéal“. Die gegenseitige Durchdringung, Analogie der materiellen und immateriellen Welten - die „Entsprechungen“ sind eines der Hauptthemen seines Werkes.

Baudelaire führt die Figur des „poète maudit“ - des „verfluchten Dichters“ ein. Der Dichter überblickt, analysiert, erkennt die Missstände seiner Zeit, sieht „klarer“ als seine Zeitgenossen, bleibt jedoch unverstanden. In seinem Gedicht „Albatros“ vergleicht er den Schriftsteller mit einem Vogel, dessen höchstes Ziel es ist, sich über die Niederungen der Existenz zu erheben. Seine großen Flügel jedoch hindern ihn am Gehen auf der Erde.

„Baudelaire wird niemals das Glück akzeptieren, weil Glück unmoralisch ist. Schmerz, sagt er, ist Adel“ analysiert Jean-Paul Sartre das Weltbild Baudelaires. Man denkt an „La Nausée“
„Der Ekel“ und Sartres Postulat: „Die Hölle, das sind die Anderen“.
Der Geist des 18. Jahrhunderts, das Licht der Aufklärung droht zu ersticken in Dumpfheit, Gleichgültigkeit. Die Veröffentlichung der „Blumen des Bösen“ führt schließlich zu einem Strafprozess aufgrund von Beleidigung der öffentlichen Moral.

Aufgabe des Dichters ist es, den Finger in die Wunde der Zeit zu legen, Widerstand zu ertragen. Wegbereiter zu sein für mehr Menschlichkeit. Mehr Bewusstsein. Baudelaire droht an seinem Ideal zu scheitern, reagiert mit Spott und Hass auf die Gesellschaft, die ihn umgibt. Auch Selbstzweifel quälen ihn.
In „Spleen“ schreibt er: „O Herr, gewähre mir die Gnade, einige schöne Verse zu schreiben, die mir beweisen, dass ich etwas wert bin, nicht gar schlimmer bin als jene, die ich verachte.“

Da Baudelaire die literarische Anerkennung verwehrt bleibt, muss er sein Einkommen mit Berichten über Kunstausstellungen, „salons“, auch mit Übersetzertätigkeiten sichern. Die Übersetzung der Werke von Edgar Ellen Poe, mit dem er sich in geistiger Resonanz fühlt, gilt als seine bedeutendste Übertragung ins Französische.

Allen Sparten der Kunst zugeneigt, schließt er sich auch der in Paris aufkeimenden Verehrung Richard Wagners an, schreibt eine „Etude“ über Wagner und Tannhäuser.
Als im Jahr 1884 die Februarrevolution in Paris ausbricht, wird Baudelaire zum Herausgeber einer revolutionären Zeitung.

Stete Geldnot zwingt ihn schließlich dazu, auszuwandern. In Belgien erhofft er sich mehr Anerkennung, ein besseres Einkommen. Vergeblich. Er erleidet einen Schlaganfall, wird in ein Pariser Pflegeheim überstellt, stirbt im Alter von 46 Jahren.

Verlaine, Rimbaud, Mallarmé, die nachfolgende Dichtergeneration der Symbolisten, sieht in ihm einen Wegbereiter. Seine Poesie ist geprägt von einer neuen „poetischen Grammatik“, einer neuen Ästhetik.

Neues zu finden/erfinden, sei es im Himmel oder in der Hölle, in den Abgrund zu tauchen auf der Suche nach dem Unbekannten, war Baudelaires höchstes Ziel.
Sein Werk hat die französische Lyrik revolutioniert, die Pforten der Moderne geöffnet.

Mag. Dorothea Nürnberg, Wien 2017